Sympathisch unfertig

Franz Fend über Prekarisierung und Flexibilisierung im kulturellen und künstlerischen Sektor.

Eine bemerkenswerte Publikation hat das Team des transdisziplinären Forschungsprojekts der Linzer Kunstuniversität flexible@art vorgelegt, das sich seit mehr als zwei Jahren mit der Prekarisierung und der Flexibilisierung im kulturellen und künstlerischen Sektor auseinandersetzt. Bemerkenswert ist diese Arbeit aus mehrerlei Gründen. Zum einen entspricht die kollektive Arbeitsweise mittels einer WIKI-Web-Plattform genau dem beforschten Themenfeld. Eine Art von Wissensproduktion, die keineswegs allein dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm entspringt, sondern stets in enger Verbindung mit künstlerischer und kultureller Praxis entwickelt worden ist. Wobei hier Praxis keineswegs die Negation der Aneignung von Theoretischem zum Thema bedeutet. Vielmehr wird bei dieser Arbeit durchgängig ein antiquiertes Kreativitäts- und Wissenschaftlichkeitsmonopol dekonstruiert, wie auch der eigene Standpunkt im Prozess dieser Wissensproduktion stets neu definiert worden ist. Die Vielzahl der Aktivitäten, von Podiumsdiskussionen und Lehrveranstaltungen, über Ausstellungen und Workshops, bis zu Lektüre und Textarbeit, die immer von wechselnden Personen betrieben worden sind, unterstreichen die Vielfalt der Zugänge zu diesem Prozess. Trotzdem ist aus dieser Publikation (diese Bezeichnung scheint passend, denn Buch oder Broschüre würde eher etwas Abschließendes, Finales bedeuten) als kleinster gemeinsamer Nenner zu entnehmen, dass Prekarisierung, Flexibilisierung veränderte Verwertungserfordernisse des Kapitals beschreiben, und das Kunst- und Kulturfeld ein Laboratorium zur Durchsetzung dieser geänderten Erfordernisse darstellen.

Das wohl intendierte "Resultat" dieses Projekts ist sein streng unhierarchischer Aufbau und das sympathisch Unfertige dieser Publikation. Rhizomisch würden Deleuzianer dies wohl benennen. Jedes Kapitel, wenn man von solchen überhaupt sprechen kann, ist erfreulich offen konzipiert, lädt zum Denken und zum Weiterarbeiten ein und stellt auf unaufgeregte Weise stets die gleiche Frage: Was tun? Dass dieses Forschungsprojekt ein erster Schritt in Richtung einer Vernetzung ist, die mehr werden könnte als Organisierung im Sinne einer paternalistischen Stellvertreterpolitik, scheint in den Ausgangsbedingungen des Projekts schon angelegt. Hier wurde versucht die Grundmauern eines Gegen-Laboratoriums zu errichteten, in dem erforscht und erprobt werden könnte, wie jener herrschenden Logik, welche die Kapitalisierung des gesamten Menschen, einschließlich seiner sozialen, kreativen, ja selbst emotionalen und affektiven Dispositionen, vorantreibt, beizukommen sei. Das ist das Bemerkenswerteste und das Erfreulichste an diesem Projekt.

Franz Fend lebt und arbeitet in Linz
Diese Rezension erschien in der Kupfzeitung Nr. 121/Juni/07

 

// Prekariat
In jüngster Zeit wird vermehrt vom Prekariat gesprochen und hiermit versucht, all die unsicheren, hyperfl exibilisierten und diskontinuierlichen Arbeitsverhältnisse auf einen Nenner zu bringen. Der Begriff des Prekariats kann in einer gewissen Analogie zum Proletariat und in der Entstehung in enger Beziehung zu den EuroMayDays gesetzt werden: „MayDay! May Day! Wir sind das Prekariat! Auf Abruf verfügbar, nach Belieben auszubeuten und kündbar nach Lust und Laune: Wir sind wendige JongleurInnen unserer Jobs, wahre Schlangenmenschen der Flexibilität. Aber seid auf der Hut: Wir sind drauf und dran, unsere prekären Kämpfe zu vernetzen!” (Aufruf zur EuroMayDay-Parade 2005 in Wien). Das Stichwort lautet in diesen Zusammenhängen Vernetzung. Es geht um eine Vernetzung prekärer Widerstände, eine Bündelung der mannigfaltigen Kämpfe und ein kollektives Eintreten für soziale Rechte, dies unabhängig vom Beschäftigungs- und Aufenthaltsstatus der Betroffenen. Die Verhältnisse sollen zum Tanzen gebracht werden. Man kann den Begriff Prekariat aber auch dahin gehend als ideologischen Kampfbegriff auffassen und analysieren, der die Mechanismen der kapitalistischen Reichtumsproduktion mehr verschleiert als enthüllt. Stichwort: Luxusprekarisierte. So unterschiedlich jedoch Lebensrealitäten ausgeprägt sind, so einigend kann hier der Begriff Prekariat wirken: „Denn das, was die zu Niedrigstlöhnen schuftende Supermarktangestellte und der sich durch geringfügige Jobs und unbezahlte Praktika wurstelnde Student, was die sozialversicherungslos werkelnde Kulturarbeiterin und der unter ständigen Disziplinarandrohungen stehende Erwerbsarbeitslose, was die papierlose und dadurch umfassend entrechtete Sexarbeiterin und der nicht bloß freiberufl ich arbeitende, sondern auch von längerfristigen Perspektiven ‚befreite’ Webdesigner sowie alle ihre Zwischen- und Mischformen gemein haben, ist eben jenes sehr unterschiedlich ausgeprägte Moment der Prekarität. Gemeinsam ist ihnen aber auch der Wunsch nach sozialen Sicherheiten für ein Leben, das fl exibel, aber ohne den fremdbestimmten Zwang zur Flexibilität gestaltet werden kann.” (Aufruf zur EuroMayDay-Parade in Wien 2005)
GLOSSAR
// Arbeit auf Abruf
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// Normalarbeitsverhältnis
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// San Precario
// Scheinselbständige Erwerbsarbeit
// Teilzeitbeschäftigung
// Telearbeit
// Transdisziplinarität
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